Arbeitsrecht: Neue elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Ab 01.01.2023 ist die Nutzung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) bei gesetzlich versicherten Arbeitnehmern in der Regel verpflichtend.

Die Krankschreibung erfolgt seit diesem Zeitpunkt nur noch digital und die gesetzlichen Krankenkassen müssen den Arbeitgebern die Arbeitsunfähigkeitsdaten zum Abruf bereitstellen. Dies gilt für gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer, wenn die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch eine/n an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende/n Arzt oder Einrichtung erfolgt.

Folgendes ist hierbei zu beachten:

Bis zum 31.12.2022 galt: 

  1. Anzeigepflicht: Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitteilen (§ 5 Abs. 1 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz – EFZG).
  2. Nachweispflicht: Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform spätestens am darauffolgenden Arbeitstag (= vierter Tag der Arbeitsunfähigkeit) vorzulegen, sofern der Arbeitgeber die Vorlage nicht früher verlangt. Aus der Bescheinigung muss sich die Arbeitsunfähigkeit an sich sowie deren voraussichtliche Dauer ergeben (§ 5 Abs. 1 S. 2 EFZG).

Seit 01.01.2023 gilt:

  1. Die Anzeigepflicht bleibt bestehen. Der Arbeitnehmer muss weiterhin dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitteilen (§ 5 Abs. 1 S. 1 EFZG).
  2. Die Nachweispflicht wird jedoch durch eine Feststellungspflicht abgelöst. Gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer müssen dem Arbeitgeber keine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform mehr vorlegen. Stattdessen sind sie verpflichtet, ihre Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen zu lassen (§ 5 Abs. 1a S. 2 EFZG n.F.). Die relevanten Zeitpunkte bleiben gleich: Die Feststellungspflicht besteht, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage andauert, also ab dem vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit. Der Arbeitgeber kann verlangen, dass die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer früher ärztlich festgestellt werden (§ 5 Abs. 1a S. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 3 EFZG n.F.). Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als zunächst festgestellt, muss der Arbeitnehmer auch deren Fortdauer ärztlich feststellen lassen. Für den Arbeitnehmer besteht zudem die Obliegenheit, sich eine nur für ihn bestimmte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform aushändigen zu lassen (Ausfertigung für den Versicherten, mit Diagnose).
  3. Die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen haben die Arbeitsunfähigkeitsdaten unmittelbar elektronisch an die Krankenkasse zu übermitteln.
  4. Die Krankenkasse hat nach Eingang der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsdaten eine Meldung zum Abruf für den Arbeitgeber zu erstellen. Die Meldung muss insbesondere diese Daten enthalten: Name des Beschäftigten, Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit, Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung, Angabe, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einem Arbeitsunfall oder sonstigen Unfall oder auf Folgen eines Arbeitsunfalls oder sonstigen Unfalls beruht.
  5. Der Arbeitgeber muss die Arbeitsunfähigkeitsdaten bei der Krankenkasse elektronisch abrufen. Dies darf er nur, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit gesetzlich krankenversichert und bei ihm beschäftigt ist. Ein Abruf auf Verdacht ist nicht zulässig, sondern nur dann, wenn der Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer mitgeteilt hat.

Ausnahmen: Bei privat versicherten Arbeitnehmern, gesetzlich versicherten Arbeitnehmern im Falle der Krankschreibung durch einen Privatarzt, „Krankschreibung“ wegen Erkrankung des Kindes (für den Bezug von Kinderkrankengeld), Krankschreibung im Ausland usw. bleibt es bei der Nachweispflicht, das heißt der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber nach wie vor eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform vorlegen.

Handlungsbedarf für Arbeitgeber: 

  1. Technische Voraussetzungen schaffen: Der Abruf ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsdaten bei den gesetzlichen Krankenkassen darf nur durch gesicherte und verschlüsselte Datenübertragung erfolgen. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber einen Dritten, etwa externen Lohnabrechner, beauftragt. Erforderlich sind ein systemgeprüftes Entgeltabrechnungsprogramm, eine elektronisch gestützte systemgeprüfte Ausfüllhilfe oder ein systemgeprüftes Zeiterfassungssystem.
  2. Information der Belegschaft: Es empfiehlt sich eine Information der Belegschaft über die neuen Regelungen. Die Mitarbeiter sollten dabei darauf hingewiesen werden, dass sie Papierbescheinigungen, die sie im Störfall erhalten, unverzüglich an die Krankenkasse übermitteln sollen. Zudem sollte der Hinweis erfolgen, dass sie dem Arbeitgeber (formlos) mitzuteilen haben, wenn im Laufe des Arbeitsverhältnisses ein Wechsel der Krankenkasse stattfindet.
  3. Anpassung von Standardarbeitsverträgen für Neueinstellungen ab 1. Januar 2023: Die Standardverträge für Neueinstellungen sollten aktualisiert werden. Bei der Formulierung ist zu beachten, dass das EFZG künftig zwischen privat und gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmern unterscheidet und dass sich der Versichertenstatus während des Arbeitsverhältnisses ändern kann. Auch die vorgesehenen Ausnahmen, vor allem für Fälle der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Nichtvertragsarzt, müssen berücksichtigt werden. Die Verträge sollten zudem eine Klausel enthalten, dass die Mitteilungs- und Feststellungspflicht auch für den Fall gilt, dass die Arbeitsunfähigkeit länger als in der elektronischen Bescheinigung angegeben dauert. Hinweis: Arbeitgeber können mit gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmern nicht wirksam vereinbaren, dass trotz der obligatorischen Einführung der eAU weiterhin Bescheinigungen in Papierform vorgelegt werden müssen (§ 12 EFZG). Eine solche Regelung kann auch nicht in einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag vereinbart werden.
  4. Änderung der bestehenden Arbeitsverträge? Bei bestehenden Arbeitsverträgen mit gesetzlich versicherten Arbeitnehmern und einer Regelung im Arbeitsvertrag, wonach die Nachweispflicht erst ab dem vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit gilt (= bisherige gesetzliche Regelung), besteht nicht zwingend Handlungsbedarf. Denn an die Stelle der bisherigen Klausel im Arbeitsvertrag, die ab 1. Januar 2023 wegen Abweichung von den Neuregelungen des EFZG gemäß § 12 EFZG unwirksam werden dürfte, treten automatisch die neuen gesetzlichen Regelungen. Ist in den Arbeitsverträgen jedoch geregelt, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung generell früher vorzulegen (also vor dem vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit) und will der Arbeitgeber diese Regelung in zeitlicher Hinsicht auf die künftige Feststellungspflicht erstrecken, sollte eine entsprechende Änderung des Arbeitsvertrags erfolgen. Besteht im Unternehmen ein Betriebsrat, hat dieser bei einer solchen allgemeinen früheren Feststellungspflicht ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.

Umgang mit etwaigen Störfällen: Es ist nicht auszuschließen, dass es gerade in der Anfangszeit zu Störfällen bei der Nutzung der eAU kommt. So kann eine Störung etwa bei der Übermittlung der Daten vom Arzt zur Krankenkasse oder von der Krankenkasse zum Arbeitgeber auftreten.

  • Wenn bereits beim Arztbesuch feststeht, dass eine Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten an die Krankenkasse nicht möglich ist (zum Beispiel weil die Technik ausfällt), erhält der versicherte Arbeitnehmer eine mittels Stylesheet unterschriebene Papierbescheinigung in dreifacher Ausfertigung – für den Versicherten selbst, zur Vorlage bei der Krankenkasse sowie zur Vorlage beim Arbeitgeber.
  • Stellt der Arzt nach dem Arztbesuch fest, dass die elektronische Datenübermittlung an die Krankenkasse nicht funktioniert und ist die Übermittlung bis zum Ende des nachfolgenden Werktags nicht möglich, muss der Arzt eine Ersatzbescheinigung auf dem Postweg an die Krankenkasse senden.
  • Liegen (egal aus welchen Gründen) zum Zeitpunkt des Abrufs durch den Arbeitgeber keine Daten bei der Krankenkasse vor, erfolgt zunächst eine ablehnende Mitteilung durch die Krankenkasse. Dann muss die Krankenkasse innerhalb von 14 Tagen prüfen, ob Arbeitsunfähigkeitsdaten für den angefragten Zeitraum bei ihr eingehen. Ist dies der Fall, wird dem Arbeitgeber der entsprechende Datensatz proaktiv durch die Krankenkasse ohne erneute Anfrage des Arbeitgebers zur Verfügung gestellt.

Weitere Informationen finden Sie beim GKV-Spitzenverband auf der Seite „Meldung der Arbeitsunfähigkeitszeiten (eAU)“ und in den „Fragen und Antworten zum Datenaustausch (FAQ)" sowie in den „Fragen und Antworten zur elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ der BDA.

Quelle: IHK Stuttgart