Was? Von der Besoldungsgruppe A14 auf Null? Du spinnst. Das kannst du nicht machen. Das hättest du dir früher überlegen sollen. Du bist schon über 50! Du verschenkst deine Pension. Du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank. Oder hast du vielleicht geerbt?“ Das waren die gängigen Reaktionen, als ich mich nach 25 Jahren Dienstzeit als Gymnasiallehrerin aus dem Beamtentum entlassen ließ.
Zugegeben, es war keine leichte Entscheidung und ich hätte sie tatsächlich auch nicht früher treffen können, denn die Zeit war erst dann reif. Es war ein Prozess und obwohl die Entscheidung am Ende ganz klar war, kostete es einiges an Mut, den Schritt zu tun – denn Mut ist nicht nur das Gegenteil von Angst, sondern oft auch das Gegenteil von Anpassung. Und angepasst hatte ich mich viele Jahre. Trotzdem hatte ich versucht, in meinen Möglichkeiten, dem Schulsystem neue Richtungen zu ermöglichen und vor allem den Schülerinnen und Schülern Impulse zu geben, die sie ihr ganzes Leben lang brauchen können. Dies ist mir auch bis zu einem gewissen Punkt gelungen. Ich habe das Fach „Lernen mit Achtsamkeit“ konzipiert, implementiert und die Erfahrungen, Methoden und das Material bereits an viele Lehrkräfte weitergegeben. Dennoch bin ich innerhalb meiner Schule an Grenzen gestoßen, hatte letztlich keine Fürsprecher und zu wenig Unterstützung, um meine Vision im System weiter voranzubringen.
Zeit für einen Umbruch
Daher war irgendwann klar: Jetzt ist der Zeitpunkt zu handeln und für meine Werte loszugehen. Ich wollte morgens in den Spiegel schauen und wissen, dass ich genau mit den Themen meinen Tag verbringe, die mir am Herzen liegen, und gleichzeitig die Menschen inspiriere, die ebenfalls auf dem Weg der Bewusstheit, Persönlichkeitsentwicklung und damit der Achtsamkeit sind. Zunächst konzentrierte ich mich auf Lehrkräfte, weil mir die beruflichen Abläufe sehr vertraut sind und weil ich immer noch über die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren letztlich die Schülerinnen und Schüler erreichen möchte. Gleichzeitig bin ich inzwischen immer mehr auch in Institutionen, öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen als Trainerin tätig. Dort habe ich einmal mehr erkannt: Es genügt nicht, wenn sich Führungskräfte, Teams, Ministerien, Politikerinnen und Politiker über Wertekultur, Wertschätzungskultur, Fehlerkultur etc. unterhalten und Worte auf Papier schreiben. Es geht darum, diese Worte lebendig werden zu lassen und zu leben, was uns wichtig ist. Jede Unternehmenskultur lebt von den Menschen, die sie gestalten, die ihre Werte definieren und diese auch leben, sodass der Arbeitsplatz ein Lebensraum ist, der Sinnhaftigkeit schenkt, Kreativität willkommen heißt, Motivation fördert und letztlich Freude bereitet.
Ich bin davon überzeugt, dass es wichtig und notwendig ist, bereits im Bildungssystem damit zu beginnen, unsere nachfolgenden Generationen mit Kompetenzen auszustatten, die es ihnen ermöglichen, verantwortungsvoll, selbstbewusst und mit souveränem und gleichzeitig empathischem Weitblick in ihrem beruflichen und privaten Umfeld zu agieren und sich darüber bewusst zu sein, dass sie wirksam sind – mit jedem Tun und jedem „Nichttun“! Sie sollten ihre Stärken kennen, wissen, wofür sie nachts um drei Uhr aufstehen würden, und ihre Talente und Fähigkeiten mit Begeisterung und Freude dort einbringen können, wo sie gesehen und wertgeschätzt werden.
Der Zeit anpassen
Dafür braucht es ein Umdenken, buchstäblich „New Work“ und eine Unternehmenskultur, die dies fördert und fordert, sodass sich Schulen und Bildungseinrichtungen entsprechend verändern und an die Zeichen der Zeit anpassen können. Es braucht einen Aufbruch von unten, der Kinder und Jugendliche auf ein Leben vorbereitet, das sich rasant wandelt und ein permanentes Überangebot bietet.
Das ist meine Motivation, wenn ich durch Kommunikationstrainings, Stressbewältigungskurse, Seminare zu Resilienz und emotionaler Intelligenz tätig bin: neben aller KI, Technik und Fortschritt das Menschliche im Menschen zu bewahren und in Erinnerung zu behalten. Und genau dafür hat es sich für mich gelohnt, in die Selbstständigkeit zu gehen – auch ohne regelmäßiges Einkommen und irgendwie doch ein „selbst und ständig“ mit allen Anstrengungen, Herausforderungen und Durststrecken. Es ermöglicht mir vollkommen neue Perspektiven, neue Projekte, neue Netzwerke und Gleichgesinnte, neue Möglichkeiten, meine Ideen einzubringen, und letztlich einen Alltag, der bunt, vielfältig und ein echtes Abenteuer ist.
Text: Alexandra Andersen
Bild: Andreas Grasser
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