Meine Tochter schreit mich an, weil ihr Brot falsch geschnitten ist, ich stehe auf der Bühne beim Startup-Preis, weine unter der Dusche, sitze im Tonstudio bei einem Unternehmenspodcast, fotografiere die 30-köpfige Belegschaft eines Unternehmens, wir empfangen den Bürgermeister in unserem Start-up, ich lese zum fünften Mal hintereinander „Conny geht zum Zahnarzt“ vor. Alles Momente aus meinen letzten 365 Tagen.
Ich bin Madlen, 33 Jahre alt, Mutter einer Dreijährigen und selbstständig mit zwei Unternehmen – „Kehrpakete“ (Fotografie & Grafikdesign) sowie Co-Founderin der „Nomad GmbH“, einem Coworking-Space in Würzburg. Manchmal frage ich mich selbst, wie all das funktionieren kann. Dann komme ich immer wieder zum Ergebnis: weil ich liebe, was ich tue, meine Ziele klar vor Augen habe und Prioritäten setze. Und weil ich die Unterstützung meines Partners, meiner Mitgründerinnen und einiger wirklich guter Freunde habe! Das mag nun sehr glorifizierend klingen, denn in Zeiten voller „Mombashing“, sozialer Medien mit idealisierten Familien- und Geschäftswelten sowie starkem Leistungsdruck ist es nicht immer einfach, den Fokus zu behalten. Mein Alltag sieht oft so aus, dass ich von meiner Tochter aus dem Bett geholt werde mit: „Mama, spiel mit mir!“ Nach 20 Minuten kann ich endlich in meine Klamotten für den Tag schlüpfen. Einen Blick auf das Handy werfen, ob irgendwelche Notfälle
anstehen. Auf dem Weg zur Kita laufe ich singend oder auch mit 17 Kilogramm Kleinkind auf den Schultern durch die Straßen. Anschließend im Coworking-Space am Schreibtisch angekommen, sortiere ich meine „To-do’s“ für den Tag. Die Stunden fliegen oft an mir vorbei, mit Besprechungen, Calls, Coworking-Betreuung und Info-Weitergabe, was sich die Tochter für den Nachmittag mit Papa gewünscht hat. Dann geht es von Fotobearbeitung über Logodesign hin zur Veranstaltungsplanung. Nach fünf bis neun Stunden gehe ich nach Hause und wünsche mir oft, ich hätte noch das ein oder andere „To-do“ mehr geschafft.
Auf Lösungssuche
An anderen Tagen bin ich als Fotografin mit mobiler Studioausrüstung unterwegs, besuche Kunden vor Ort oder an besonderen Locations. Danach der Switch nach Hause – freudestrahlende Begrüßung meiner Tochter, deren Worte und Gedanken Purzelbäume schlagen. Und es geht weiter mit der Geschwindigkeit eines Wimpernschlags ins Spielen, Basteln oder mal in Traurigkeit, weil irgendetwas nicht so funktioniert, wie sie es sich vorstellt. Ich gebe offen zu, an manchen Tagen finde ich zu wenig Zeit für mich selbst. Mal laufen Tränen über mein Gesicht und ich brauche Zeit, um alles in meinem Kopf zu ordnen. Mittlerweile weiß ich, dass alle Gefühle ihre Berechtigung haben. Sie trainieren mich, aktiv hinzusehen und nach Lösungen zu suchen. Für mich ist der Schlüssel: bewusste Pausen und Bewegung. An dieser Stelle muss ich mir Raum für Bewusstsein schaffen, mir meiner selbst bewusst werden, immer wieder in mich gehen und Fragen stellen: Was mache ich gerade? Was hat Priorität? Gehe ich erst mal 15 Minuten spazieren für mehr Klarheit? Ich bin eine Frau mit vielen Ressourcen, die ich sinnvoll und effektiv einsetzen kann. Ich kann ebenso kommunizieren, wenn es mir zu viel wird. Mir ist es nicht jeden Tag möglich, allen meinen Rollen gerecht zu werden. Es gibt Tage, an denen kann ich als Mutter so sein, wie ich es mir vorstelle und alles läuft nach Plan. An anderen Tagen funktioniert gefühlt nichts. Glücklicherweise habe ich großes Urvertrauen und den damit verbundenen Mut zur Lücke! Manche Dinge können erst am nächsten Tag oder sogar in der nächsten Woche erledigt werden. Es muss nicht immer alles sofort passieren. Meine Kunden wissen meine transparente Arbeitsweise zu schätzen, die Einteilung von Prioritäten steht einer gleichzeitigen Zuverlässigkeit nicht im Weg. Mein aktueller Alltag könnte abwechslungsreicher nicht sein, er ist gespickt mit Aufgaben, die mich schon immer mal gereizt haben, hält Dinge bereit, die ich sehr routiniert abarbeiten kann, bis hin zu emotionalen Himalayas. Ich kann mir keinen Job in Festanstellung vorstellen, der mir dieses Spektrum bietet. Ich schätze die Möglichkeiten, die Flexibilität und dafür habe ich an der Eingangstür die Sicherheit, die eine Festanstellung bieten kann, zurückgelassen. Alle „To-do’s“ unter einen Hut zu bekommen, das treibt mich an.
Madlen Kehr
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