Vom Hobby zum Handwerk

Authentizität, Individualität und Hochwertigkeit sind Aspekte, die für immer mehr Menschen eine wichtige Rolle spielen. Viele drehen dem Massenkonsum den Rücken zu und treffen Kaufentscheidungen immer bewusster. Eine, die vieles hinterfragt und selbstbewusster, kritischer und nachhaltiger kauft, ist Mélanie Richet. Sie hat sich 2018 in Schweinfurt in einer kleinen Werkstatt selbstständig gemacht und sich einem alten Kunsthandwerk, der Strohmarketerie, verschrieben.

Dabei handelt es sich, vergleichbar der Holzintarsie, um Einlegearbeiten, allerdings aus Stroh und nicht aus Holz. Wann und wo dieses Handwerk genau entstanden ist, kann heute nicht mehr nachvollzogen werden. Erhaltene Gegenstände aus dem 17. Jahrhundert bezeugen aber die Existenz der Strohmarketerie in verschiedenen europäischen Ländern. Nach einer letzten Blüte in der Zeit des Art déco in Frankreich durch Arbeiten von Jean-Michel Frank und André Groult drohte die Strohmarketerie komplett in Vergessenheit zu geraten.

Von der Pike auf gelernt

Auch Mélanie Richet, eigentlich studierte Lehrerin, weiß nicht mehr genau, wann sie mit der Strohmarketerie in Berührung gekommen ist. „Ich habe irgendwann davon erfahren. Dann im Internet auf der Seite eines französischen Vereins eine kurze Anleitung gefunden und einfach ausprobiert und da muss wohl der Funke endgültig übergesprungen sein.“ Eigentlich habe sie schon immer gerne mit den Händen gearbeitet, vielleicht auch als Ausgleich zum Unterricht, so die „beurlaubte“ Lehrerin und aktive Handwerkerin. Auf jeden Fall hat sie die Strohmarketerie nicht mehr losgelassen. Ihr Streben nach Perfektion und mehr Wissen führte die gebürtige Französin, die der Liebe wegen von Frankreich nach Franken gezogen war, nach Paris zu Lison de Caunes. Bei ihr, die sich seit über 40 Jahren dieser einzigartigen Handwerkskunst widmet und der Strohmarketerie ein großes Stück weit zu einer Renaissance verholfen hat, durfte Mélanie Richet die Marketerie von der Pike auf lernen. Auch große Häuser wie Guerlain, Vuitton, Armani Casa, Cartier und Hermès haben vor einigen Jahren die Strohmarketerie wieder entdeckt und empfangen heute ihre Kunden in Geschäften, die mit Strohmarketerien eingerichtet sind, oder bieten exklusive Produkte mit Strohmarketerie an.

Aber Mélanie Richet schwärmt nicht nur für ihr Handwerk, sondern auch für das Stroh, mit dem sie ihre einzigartigen Marketerien anfertigt. Dabei handelt es sich um Roggenstroh, das aktuell im französischen Burgund extra für die Strohmarketerie angebaut und gefärbt wird. „Stroh ist zwar 

ein relativ einfaches Naturprodukt, aber es hat auch sehr viel Charakter und verzeiht vor allem keine Fehler“, so die Künstlerin. Jeder Strohhalm wird aufgemacht und von Hand geglättet, danach auf einen Träger, meist Holz, aufgeklebt und geschnitten oder auf Papier geklebt und geschnitten, um so eine Art Furnierblatt zu erhalten. Jedes gefertigte Produkt ist ein Unikat. Denn jeder Strohhalm reagiert anders auf das Färben. So entstehen dadurch sehr viele Farbnuancen. Selbst wenn sie wollte, könnte sie nicht zweimal dasselbe Ergebnis erzielen, betont die Kunsthandwerkerin.

Regional und nachhaltig

Neben Wandschmuck, Dekoartikeln und Möbeln fertigt Mélanie Richet schwerpunktmäßig Schmuck, den sie in ihrer Werkstatt in Ausstellungen, auf Kunsthandwerkermärkten und bei Veranstaltungen in Museen präsentiert. Neben der Qualität zieht sich für die Künstlerin das Thema Nachhaltigkeit wie ein roter Faden durch ihr Leben und Schaffen. So arbeitet sie seit einiger Zeit mit dem Landwirt Benedikt Böhm in Niederwerrn zusammen, der für sie auf kleinen Flächen versuchsweise Getreide – vor allem alte Sorten – anbaut, die sich für die Strohmarketerie eignen. Darüber hinaus hat sie sich während der Coronazeit sehr intensiv mit dem Färben von Stroh beschäftigt und beachtenswerte Ergebnisse erzielt. Auch kooperiert sie mit einer Schweinfurter Schreinermeisterin, wenn sie zum Beispiel besondere Träger braucht. Denn neben Nachhaltigkeit wird bei Mélanie Richet auch die Regionalität großgeschrieben.

Rudi Merkl

 

Das Unternehmen
Strohmarketerie Mélanie
Richet Neue Gasse 34
97421 Schweinfurt

Die Person
Mélanie Richet

Die Idee
Eine zeitgenössische und zeitgemäße Interpretation eines vergessenen Kunsthandwerks

Größte Herausforderung
Die Strohmarketerie an die Öffentlichkeit zu bringen

Pläne
Weiterhin neue Wege gehen

Den WiM-Artikel finden Sie hier.