Living the dream oder doch nur schön verpackter Stress?

Es war kurz vor Weihnachten 2019. Meine Geschäftspartnerin und ich zählten die Tage bis zum 24. Dezember. Die Feiertage sollten eine dringend notwendige Atempause für uns beide sein. Aus der Atempause wurde nichts.

Wir erhielten eine Einladung zu einer exklusiven Vernissage samt Interview mit einem sehr beliebten Modedesigner sowie einer international renommierten Künstlerin und anschließender Party. Nach einem spektakulären Abend, Smalltalk mit dem Who’s who der Branche und spannenden Interviews waren wir auf dem Rückweg. Unsere Batterien? Leer. Die Feiertage verbrachte ich erschöpft, ausgebrannt und krank. Mein Körper sagte: Stopp. Damit war ich nicht allein. Uns wurde klar: Wir müssen dringend unsere Art zu arbeiten überdenken.

Von klassischer Arbeit und Vergnügen

Vor neun Jahren gründeten wir „PlusPerfekt“ – das damals erste Online-Magazin für Plus-Size-Mode in Deutschland. Unser Ziel: mehr Vielfalt in der deutschen Medienlandschaft. Um das zu erreichen, galt es, bei Events die richtigen Kontakte zu knüpfen. Das spornte uns zu pendlerischen Höchstleistungen an. Fashion Weeks, Loungeshows, Pressetermine, Interviews – viele dieser Termine fielen auf das Wochenende. Scheinbar praktisch, denn während der Arbeitswoche konnte es mit dem Tagesgeschäft weitergehen. Die Events waren ein Erlebnis, manchmal schienen sie ‚larger than life‘ und – von außen betrachtet – keineswegs als das, was man unter „klassischer“ Arbeit versteht.

Wie eine Krise zur Zwangspause wird

Der Lockdown 2020 schob sämtlichen Veranstaltungen einen Riegel vor. Für viele eine Katastrophe. Auch für uns keine leichte Zeit. Doch diese Zwangspause bot eine unerwartete Chance: Wir konnten den Fokus stärker auf unsere Bedürfnisse legen und eine gesündere Work-Life-Balance aufbauen. Wir hatten Zeit, unsere bisherige Arbeitsmentalität zu reflektieren.

Hinzu kam, dass ich mich in meiner Masterarbeit wissenschaftlich mit den Herausforderungen von Unternehmensgründungen beschäftigte. Themen, die ich als Gründerin selbst erlebt, aber nie unter diesen ana

lytischen Gesichtspunkten betrachtet hatte. Ich erkannte etwas Essenzielles: Die Qualität unserer Arbeit, unser Erfolg, ist die Summe finanzieller, zeitlicher und menschlicher Ressourcen. Haben wir Geld, können wir uns Unterstützung kaufen. Haben wir Zeit, können wir nötige Fähigkeiten selbst erlernen. Haben wir Manpower, können wir delegieren. Aber im Kern steht immer die menschliche Ressource. In unserem Fall ein kleines Team und natürlich wir selbst. Wenn wir das eigene Wohlergehen nicht priorisieren, funktionieren wir als wichtigste Ressource nicht, werden mit negativem Stress und Burn-out konfrontiert.

Stress ist kein Fleißabzeichen

Heute habe ich für mich hilfreiche Routinen gefunden. Das Unbequeme: Es setzt ein Hinterfragen toxischer Denkmuster und die Anpassung der eigenen Arbeitsmentalität voraus. Statt überzogenem Perfektionismus versuche ich die 80-20-Regel zu leben. Ich definiere klare Ziele, ab wann eine Aufgabe abgeschlossen ist. Jede weitere Arbeit daran ist die Kür. Ich arbeite – bis auf wenige Ausnahmen – nicht mehr am Wochenende. Ich halte Urlaubszeiten ein, arbeite mit den Erkenntnissen des Startup Masterplans – dem Ergebnis meiner Masterarbeit –, um unsere Prozesse besser zu strukturieren und eine ganzheitliche Betrachtung zu ermöglichen. Und schlussendlich: Ich gebe privaten Verpflichtungen den Vorzug. Werden wir heute zu Veranstaltungen eingeladen, muss der Mehrwert des Events nicht nur die Kosten decken, sondern auch die freie Zeit, die wir dafür eintauschen. Das hilft immens bei der Priorisierung von Terminen.

Ann-Christin Scharf

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