BMF-Schreiben zur Vollverzinsung: Reaktion auf BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021

Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat mit Schreiben vom 17.09.2021 auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) zur Vollverzinsung reagiert und neue Vorgaben zur Anwendung von § 233a i.V.m. § 238 AO getroffen.

Das BMF-Schreiben wurde am 28.9.2021 auf der Website des BMF veröffentlicht.

Das BVerfG hatte mit einem am 18. August 2021 veröffentlichten Beschluss vom 8. Juli 2021 die Verfassungswidrigkeit der bestehenden Regelungen zur Verzinsung von Steuernachzahlungen und -erstattungen (Vollverzinsung) ab dem Verzinsungszeitraum 2014 festgestellt. Jedoch wurde mit Blick auf die ansonsten drohenden, erheblichen Haushaltsauswirkungen eine Fortgeltungsanordnung für weiter zurückliegende Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 getroffen. Die Bestimmungen dürfen erstmals für den Verzinsungszeitraum 2019 nicht mehr angewendet werden, vielmehr wurde der Gesetzgeber zu einer verfassungskonformen Neureglung bis spätestens 31. Juli 2022 verpflichtet (siehe unser Rundschreiben vom 18.08.2021).

Das BMF-Schreiben vom 17.9.2021 (IV A 3 – S 0338/19/10004:005) enthält Anweisungen an die Finanzbehörden der Länder hinsichtlich der Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019.

1. Erstmalige Zinsfestsetzungen nach § 233a AO

Erstmalige Festsetzungen von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen (§ 233a AO) für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 sind gemäß § 165 Abs. 1 AO, § 239 AO auszusetzen („Zinsen auf Null gestellt“). Die ausgesetzte Zinsfestsetzung ist jedoch nachzuholen, soweit und sobald die Ungewissheit durch eine rückwirkende Neuregelung durch den Gesetzgeber beseitigt ist (§ 165 Abs. 2 S. 2 AO).Nachzahlungs- oder Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume bis 31. Dezember 2018 sind jedoch weiterhin - endgültig - festzusetzen.

1. Geänderte oder berichtigte Zinsfestsetzungen nach § 233a AO

Wurden bereits Nachzahlungs- und Erstattungszinsen festgesetzt, gilt folgendes:

1. § 164 – Vorbehalt der Nachprüfung

Unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) festgesetzte Zinsen können gem. § 164 Abs. 2 AO geändert werden. Diese sind jedoch im Umfang der betragsmäßig neu festzusetzenden Zinsen gem. § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AO (Unvereinbarkeitsentscheidung des BVerfG) vorläufig vorzunehmen und gem. § 165 Abs. 1 S. 4 AO auszusetzen.

2. § 165 – vorläufige Festsetzungen -

War die ursprüngliche Zinsfestsetzung in vollem Umfang vorläufig nach § 165 Abs. 1 S.2 Nr. 3 (anhängiges Verfahren vor BVerfG wg. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht) ergangen, ist die geänderte/berichtigte Zinsfestsetzung im Umfang der betragsmäßig neu festzusetzenden Zinsen vorläufig (§ 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AO) vorzunehmen und auszusetzen (§ 165 Abs. 1 S. 4 AO). - War die ursprüngliche Zinsfestsetzung nur teilweise vorläufig ergangen, ist die geänderte/berichtigte Zinsfestsetzung im Umfang der betragsmäßig neu festzusetzenden Zinsen vorläufig (§ 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AO) vorzunehmen und auszusetzen (§ 165 Abs. 1 S. 4 AO).

3. Sonstige Änderungen

Waren die ursprünglichen Zinsfestsetzungen weder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) noch vorläufig (§ 165 AO) ergangen, ist bei Änderungen/Berichtigungen die Zinsfestsetzung im Umfang der betragsmäßig neu festzusetzenden Zinsen auszusetzen (§ 165 Abs. 1 S. 4 AO). (Hinweis: Wurden Zinsbescheide ohne Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 AO) oder Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) erlassen und hiergegen kein Widerspruch eingelegt, sind diese in Bestandskraft erwachsen und können – trotz Verfassungswidrigkeit der Zinsfestsetzung – nicht mehr korrigiert werden. Allerdings kann die Zahlung von nicht entrichteten Zinsbeträgen nicht verlangt werden.)

III. Einspruchsverfahren

Wurde gegen eine Zinsfestsetzung zulässigerweise Einspruch mit Blick auf die Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes (§ 238 AO) eingelegt, ist der Einspruch hinsichtlich der Verzinsungszeiträume bis 31. Dezember 20218 als unbegründet zurückzuweisen. Bezüglich nachfolgender Verzinsungszeiträume ist das Einspruchsverfahren sowie die Vollziehung der Zinsfestsetzung auszusetzen. Das Verfahren wird nach der erforderlichen (rückwirkenden) Gesetzesänderung fortgesetzt.

1. rechtshängige Verfahren

Sind bereits Verfahren wegen der Verfassungskonformität des Zinssatzes bei einem Finanzgericht oder dem Bundesfinanzhof (BFH) anhängig, ist es Sache der Gerichte, diese auszusetzen.

1. Aussetzung der Vollziehung (AdV)

Wurde die Vollziehung einer Zinsfestsetzung bereits ausgesetzt, ist diese – bei Verzinsungszeiträumen bis 31.12.2018 – zu beenden. Hinsichtlich nachfolgender Verzinsungszeiträumen bleibt die AdV bis auf Weiteres bestehen.

1. Zinsen nach den §§ 234 bis 237 AO

Die Unvereinbarkeitsentscheidung des BVerfG erstreckt sich nur auf Nachzahlungs- und Erstattungszinsen gem. § 233a AO und umfasst ausdrücklich nicht anderweitige Zinstatbestände (z.B. Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen; §§ 234, 235, 237 AO). Wurden derartige Zinsen ganz oder teilweise vorläufig festgesetzt, ist auf Antrag des Zinsschuldners oder bei Änderungen sind für endgültig zu erklären. Bei bereits anhängigen Einspruchsverfahren sind diese als unbegründet zurückzuweisen.

VII. Schlussbestimmungen

Das BMF-Schreiben vom 14. Dezember 2018 (IV A 3 - S 0465/18/10005-01, BStBl I S. 1393), geändert durch das BMF-Schreiben vom 27. November 2019 (IV A 3 - S 0465/19/10004 :001, BStBl I S. 1266), und das BMF-Schreiben vom 1. Mai 2019 (IV A 3 - S 0338/18/10002, BStBl I S. 448) werden aufgehoben.

Quelle: DIHK